Möglicherweise sind Sie sich nicht sicher, ob Sie den Täter anzeigen wollen. Die Anzeigenerstattung kann je nach aktueller Lebenssituation und gesundheitlichem Zustand individuell empfundene Vor- und Nachteile bzw. unterschiedliche Auswirkungen für die Betroffene haben. Wenn Sie sich diese Entscheidung noch offen halten wollen, gibt es in Köln die Möglichkeit zur Anonymen Spurensicherung nach Sexualstraftaten (ASS). Gehen Sie bitte zeitnah in eines der angeschlossenen Krankenhäuser: dort werden mögliche Tatspuren gesichert und im Anschluss mit einer Chiffrenummer anonymisiert im Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln gelagert.
Anzeige: Ja oder Nein?
Danach können Sie in Ruhe überlegen – vielleicht mit einer Person, der Sie vertrauen – ob für Sie die Anzeige der richtige Weg ist. Gerne können Sie in dem Zusammenhang auch von der kostenlosen Rechtsberatung durch eine unserer Juristinnen Gebrauch machen. Lassen Sie sich von niemandem unter Druck setzen. Nehmen Sie sich soviel Zeit für die Entscheidung, wie Sie brauchen: eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung nach §177 StGB verjährt erst nach 20 Jahren. Sie können den Täter also auch noch Tage, Monate oder sogar Jahre nach der Vergewaltigung bei der Polizei anzeigen und bei der Anzeigenerstattung auf die anonymisiert gelagerten Asservate zurückgreifen. Allerdings kann es Ihnen später vor Gericht evtl. nachteilig ausgelegt werden, wenn zwischen der Tat und der Anzeigenerstattung zu viel Zeit vergangen ist. Außerdem kann die Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung in einem Gerichtsverfahren umso schwieriger werden, je länger die Tat zurückliegt. Das kann Auswirkungen auf die Verurteilung und Bestrafung des Täters haben. Trotzdem sollten Sie sich stabil und stark genug fühlen, wenn Sie eine Anzeige erstatten, damit Sie alles, was damit verbunden ist, ohne zusätzliche Belastungen durchstehen.
Hier einige Aspekte, die beim Überlegen helfen können:
Pro Anzeige
Die Vorteile einer Anzeige liegen vor allem darin, dass Sie sich – zumindest im Nachhinein – aktiv gegen den Täter zur Wehr setzen und die erlittene sexualisierte Gewalt öffentlich machen können. Das kann Ihnen helfen, den übermachtigen Gefühlen von Hilflosigkeit und Ohnmacht ein Stück weit entgegenzuwirken und das Erlebte besser zu verarbeiten. Außerdem wird der Vergewaltiger durch eine Anzeige zur Verantwortung gezogen. Im Falle einer Anzeige und ggf. Verurteilung wird er vor erneuten Übergriffen vermutlich eher zurückschrecken, als wenn die Tat für ihn folgenlos bleibt.
Sie sind nicht allein: wenn Sie sich entscheiden, Nebenklage einzureichen (was wir im Falle einer Anzeige dringend empfehlen), haben Sie mehr Rechte als wenn Sie im Prozess nur „Opferzeugin“ sind. Eine Anwältin, die sich mit Strafrecht gut auskennt und Erfahrung mit Nebenklagevertretungen hat, ist eine gute Stütze und wird den Weg mit Ihnen zusammen gehen. Zusätzlich können Sie Psychosoziale Prozessbegleitung beantragen oder eine Mitarbeiterin des Notrufs zur Prozessbegleitung hinzuziehen, so dass Sie das Verfahren zu keinem Zeitpunkt alleine durchstehen müssen.
Contra Anzeige
Gegen eine Anzeige kann vor allem sprechen, dass das Ermittlungsverfahren und der Prozess von vielen Frauen als sehr belastend empfunden werden. Sie müssen damit rechnen, dass Sie sowohl von der Polizei als auch später vor Gericht detailliert zum Tathergang befragt werden. Dadurch werden Sie sich an Gefühle und Erlebnisse erinnern, die Sie am liebsten vergessen würden – je nach Auslastung der Gerichte und der Dauer der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft kann es in Köln bis zu einem Jahr und z.T. deutlich länger dauern, bis es zu einer Hauptverhandlung kommt. Es ist auch zu erwarten, dass besonders der Verteidiger des Angeklagten versuchen wird, Ihre Aussage als unglaubwürdig darzustellen. Außerdem ist es kaum zu umgehen, dass Sie während des Verfahrens erneut mit dem Täter konfrontiert werden.
Der Notruf für vergewaltigte Frauen e.V. hilft Ihnen gerne bei der Entscheidungsfindung:
Wir beraten Sie (Rechtsberatung ist telefonisch oder persönlich möglich) und unterstützen Sie im Rahmen von Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung auch in wichtigen Fragen (z.B. Ablauf eines Gerichtsverfahrens) oder beim Gang zu einer Rechtsanwältin, zur Polizei und später zum Gericht.
Kostenlose Rechtsberatung (Erstberatung) nach sexualisierter Gewalt durch qualifizierte Anwältinnen des Kölner Frauennotrufs auf Anfrage. Bitte unter 0221/562035 anrufen oder eine E-Mail an mailbox@notruf-koeln.de – wir leiten Sie dann weiter.